Ungeduldig habe ich „Die Geschichte eines neuen Namens“ erwartet, den zweiten Teil von Elena Ferrantes neapolitanischer Saga. Würde er die Spannung von „Meine geniale Freundin“ aufrecht erhalten? Wie wird sich die Freundschaft und das Leben von Lenù und Lila weiter entwickeln? So viel vorweg: Für mich ging mit Band 2 auch das Ferrante-Fieber weiter.
Die vierbändige neapolitanische Saga „Meine geniale Freundin“ von Elena Ferrante gilt als eines der wichtigsten Werke zeitgenössischer Literatur. Seit Ende 2016 erscheinen nach und nach die deutschen Übersetzungen aller vier Bände im Suhrkamp-Verlag. Im Januar 2017 kam der zweite Band „Die Geschichte eines neuen Namens“ heraus. Nachdem mich der erste Band „Meine geniale Freundin“ fesselte und ich vom weltweiten Ferrante-Fieber erfasst wurde, war die Erwartung an den zweiten Band natürlich hoch.
„Meine geniale Freundin (Kindheit und frühe Jugend) – Band 1“ erzählt von der rivalisierenden Mädchenfreundschaft zwischen Elena (Lenù) und Lina (Lila) in einem armen und von Gewalt geprägten Rione im Neapel der 1950er Jahre. Im Folgeband „Die Geschichte eines neuen Namens (Jugendzeit)“ entwickelt sich die Persönlichkeit und die Freundschaft der beiden Frauen im Neapel der 1960er weiter und es werden folgenschwere Lebensentscheidungen getroffen.
- Hier geht es zur Vorstellung des ersten Bandes mit mehr Infos über Elena Ferrante
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Durch einen „Kunstgriff“ am Anfang des Buches macht es Ferrante möglich, auch ohne Kenntnis des Vorgängerbandes einen Einstieg zu finden. Es gelingt ihr, indem sie Lenù die Aufzeichnungen ihrer Freundin Lila mit Erinnerungen an ihre Kindheit lesen lässt. Ich finde aber, dass man die Entwicklungen viel besser einordnen kann, wenn man den ersten Band vorher gelesen hat und würde das auch empfehlen.
Zur besseren Orientierung liegt diesmal ein Lesezeichen mit Figurenbeschreibungen bei. Das finde ich gut, weil man bei so vielen Namen leicht durcheinanderkommen kann. Im folgenden werde ich das Buch vorzustellen, ohne zu viel Handlung und Details vorwegzunehmen.
Lilas Ehe hält nicht was sie verspricht
Der erste Band endet mit der Hochzeit der 16-jährigen Lila mit Stefano Cerullo, dem gut situierten Besitzer einer Salumeria. Schon während der Hochzeitsreise an die Amalfiküste wird ihr klar, dass sie sich in ihm getäuscht hat. Während die ehrgeizige Lenù das Gymnasium besucht, arbeitet Lila in der Salumeria und wird von ihrem Umfeld dazu gedrängt, endlich Mutter zu werden. Sie bleibt gefesselt an das von den Solara-Brüdern dominierte Rione in Neapel und kämpft gegen Macho-Brutalität; sie sehnt sich nach einem anderen Leben. Der Ausbruch aus ihrer Ehe ist jedoch gefährlich und würde dazu führen, dass sie ihren Wohlstand wieder verliert.
Zwischen Selbstzweifeln und Selbstbestimmung
Auch für Lenù ist es nicht einfach, ihren eigenen Weg einzuschlagen. Immer wieder wird sie von Selbstzweifeln gequält, entfremdet sich dem Rione und ihrer Familie. Gleichzeitig hat sie oft das Gefühl nicht zur „gebildeten Gesellschaft“ zu gehören. Sie wandelt sozusagen zwischen zwei Welten, versucht ihren neapolitanischen Dialekt abzulegen. Nicht einfacher macht es die Liebe zu ihrem Jugendschwarm, der nur mit ihren Gefühlen zu spielen scheint und sich für Lila interessiert.
Ständig vergleicht sich Lenù mit Lila, glaubt durch ihr bebrilltes Gesicht weniger attraktiv zu sein. Denkt, dass sie Lilas Verstand unterlegen sei. Die Minderwertigkeitsgefühle von Lenù haben mich berührt und verstimmt. Ich hätte ihre gerne gesagt: „Hey – du hast soviel geschafft. Dich aus einem armen bildungsfernen Umfeld herausgelöst, nur durch dein unablässiges Lernen und deine Strebsamkeit. Warum vergleichst du dich ständig mit der oft vulgär auftretenden Lila?“ Doch das macht wohl eine gute Geschichte aus. Man beginnt sich gedanklich mit den Figuren auseinanderzusetzen, Partei für sie zu ergreifen, sie werden plastisch. Ohne Klischees und schonungslos offen wird eine rivalisierende Freundschaft beschrieben, in der auch dunkle Gefühle Platz haben.
Die gesellschaftliche Dimension wird deutlich
Noch stärker als im ersten Band wird gezeigt, wie sehr Frauen in einem patriarchalisch geprägten Umfeld gedemütigt und missbraucht werden. Lenù beobachtet die verheirateten Frauen im Rione und stellt fest, dass Ehe und Mutterschaft nur vermeintlich glücksversprechend sind:
„Sie waren gereizt, waren fügsam. Sie schwiegen mit zusammengekniffenen Lippen und eingezogenem Kopf oder schrien ihre Kinder, die ihnen auf die Nerven gingen, mit fürchterlichen Schimpfworten an.“ (S. 130)
Gleichzeitig wird das Thema der sozialen Ungleichheit „von Geburt an“ besonders deutlich. Zwar ist Lila der Armut entflohen, hat eine schöne Wohnung und kleidet sich „wie aus einem Modejournal“. Doch bei einem gemeinsamen Spaziergang auf der eleganten Via dei Mille fühlt Lenù, dass diese Äußerlichkeiten nicht über die bestehen bleibende gesellschaftliche Ungleichheit hinwegtäuschen können.
„Es lag etwas Böses in dieser Ungleichheit, das wusste ich jetzt. Sie wirkt unterschwellig, viel tiefer als Geld“. (S. 161).
Mehrere Zeitungen beteiligen sich am Sensationsjournalismus um Ferrantes Identität
Wer sich mit Elena Ferrante beschäftigt weiß, dass die Autorin unter einem Pseudonym schreibt und ihre Identität nicht preisgeben möchte. Leider wird dieser Wunsch auf Privatsphäre nicht respektiert. Im Oktober 2016 wurde gleichzeitig in mehreren Zeitungen, darunter auch in der Frankfurter Allgemeinen, ein Bericht des italienischen Journalisten Claudio Gatti veröffentlicht. Dort gibt er vor, angeblich ihre Identität aufgedeckt zu haben. Da ich mich über diesen Sensationsjournalismus und den fehlenden Respekt vor Ferrantes Privatsphäre geärgert habe, möchte ich darauf nicht eingehen. Sollte Ferrante als Reaktion auf die Aufdeckung ihrer Anonymität tatsächlich aufhören zu publizieren, wie sie es dem „Spiegel“ gegenüber in einem Interview 2016 andeutete, wäre das ein großer Verlust.
Fazit: „Die Geschichte eines neuen Namens“ ist unbedingt lesenswert! Ich finde die schnell vorangehende Entwicklung der beiden Frauen und ihrer Freundschaft sehr spannend. Während Lenù und Lila als Kinder von ihren Eltern und der Gunst ihrer Lehrer abhängig waren, treffen sie nun eigene weitreichende Entscheidungen. Beide ringen auf unterschiedliche Arten um weibliche Selbstbestimmung, gehen dafür Risiken ein und zahlen nicht selten einen hohen Preis. Ich freue mich schon auf Band 3 „Die Geschichte der getrennten Wege“, der im Mai 2017 herauskommen soll.
Mehr Infos auf der Website des Suhrkamp-Verlages: www.elenaferrante.de
Bei Amazon könnt ihr das Buch bestellen und einen Blick hinein werfen:
Die Geschichte eines neuen Namens: Band 2 der Neapolitanischen Saga (Jugendzeit) (Neapolitanische Saga) *
„Die Geschichte eines neuen Namens: Band 2 der Neapolitanischen Saga (Jugendzeit)“ von Elena Ferrante
Gebundene Ausgabe: 624 Seiten
Suhrkamp Verlag; Auflage 1 (10. Januar 2017)
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