Der dritte Band der Neapolitanischen Saga spielt im politisch turbulenten Italien der 1970er-Jahre. Er erzählt vom Ringen um weibliche Selbstbestimmung und von der Bedeutung einer Freundschaft in bewegten Zeiten, unabhängig von räumlicher Distanz und unterschiedlichen Lebenswegen.
Wie nicht anders zu erwarten entwickelt sich auch im dritten Band die Freundschaft von Elena und Lila weiter, geprägt von vielen Aufs und Abs, unerwarteten Wendungen, Rivalität und Zuneigung. Während „Meine geniale Freundin“ die Kindheit von Elena und Lila im Neapel der 1950er betrachtet und „Die Geschichte eines neuen Namens“ (Band 2) von ihrer Jugend im Italien der Sechziger erzählt, ist die Neapolitanische Saga nun in den politisch aufregenden Siebzigern angelangt. Vor dem Hintergrund der Studenten-, Frauen- und Arbeiterbewegung führen die beiden Frauen ein völlig unterschiedliches Leben.
Von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit
Die Geschichte der getrennten Wege von den mittlerweile erwachsenen Frauen und Müttern Elena und Lila könnte unterschiedlicher nicht sein. Während die Erzählerin Elena Neapel den Rücken gekehrt hat und in Turin mit ihrem Mann, einem Universitätsprofessor, in gut situierten Verhältnissen lebt, schuftet ihre Freundin in einem Vorort von Neapel in einer Wurstfabrik. Während Lila bis zur Hüfte in Wurstwasser steht und sich die Entwürdigungen durch ihren Chef gefallen lassen muss, veröffentlicht Elena ihren ersten Roman, wird Mutter und steigt gesellschaftlich auf. Obwohl dieses Leben ihr eine gehobene soziale Stellung verschafft, fühlt sie sich dennoch nicht ausgefüllt, weder in ihrer Ehe noch als Autorin. Als Hausfrau und Mutter begibt sie sich zunehmend in Abhängigkeit und wird unselbständiger. Lila hingegen macht neben ihrer harten Arbeit und trotz ihres gesundheitlich angeschlagenen Zustandes noch ein Fernstudium, engagiert sich gegen die miserablen Arbeitsbedingungen und entwickelt sich stetig weiter zu einer noch stärkeren Frau, immer bemüht um Unabhängigkeit. Obwohl die Freundinnen sehr unterschiedliche Wege einschlagen und durch viele Kilometer voneinander getrennt sind, bleiben sie sich immer verbunden, rivalisieren noch immer miteinander, suchen den Kontakt und sind füreinander da.
Und trotzdem, auch als ich in anderen Städten gelebt habe und wir uns fast nie sahen und sie wie üblich nichts von sich hören lies (…) trieb mich ihr Schatten an, entmutigte mich, erfüllte mich mit Stolz(…) (S. 126)
Bis schließlich eine gemeinsame Jugendliebe Nino Sarratore, der vermutliche Vater von Lilas Sohn, wieder auftaucht und daraus allerlei Verwicklungen entstehen.
Die 1970er in Italien – ein politisches Zeitpanorama
Vergleicht man Band 3 mit seinen Vorgängern ist dieser sicher der politischste. Beide Frauen können sich nicht den Strömungen und Bewegungen der 1970er Jahre mit all ihren Turbulenzen entziehen, geraten unvermutet in Tumulte und lassen den Leser hautnah diese Zeit miterleben. Mir persönlich waren einige der Passagen über die Politik dieser Epoche allerdings zu lange und ausschweifend. Sie liefern zweifelsohne ein wertvolles Zeitpanorama, doch mir gefallen die handlungsorientierten und von Emotionen geprägten Passagen besser. Am stärksten finde ich die Abschnitte über die Beziehung der beiden Freundinnen und ihre für mich teilweise unerwartete persönliche Entwicklung. Dennoch ist für mich auch Band 3 der geheimnisvollen Elena Ferrante ein literarisches Meisterwerk, sprachgewaltig und spannend.
Ich freue mich schon sehr auf das Lesen des vierten und letzten Band der Neapolitanischen Saga „Die Geschichte des verlorenen Kindes“, der bereits Anfang Februar 2017 auf Deutsch im Suhrkamp-Verlag erschienen ist.
Die Geschichte der getrennten Wege: Band 3 der Neapolitanischen Saga (Erwachsenenjahre) (Neapolitanische Saga) (*)
Suhrkamp Verlag, 2. Auflage (27. August 2017)
ISBN-10: 3518425757
ISBN-13: 978-3518425756
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