Italien im Herzen

Zeitreise im Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde

Es gilt als eines der schönsten Freilandmuseen Italiens, das Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde im Pustertal. Auf einem malerisch gelegenen Gelände erzählen bezaubernde Bauernhäuser, antike Handwerksstätten und ein herrschaftlicher Gutshof vom Alltag der ländlichen Bevölkerung in der Vergangenheit.

Die Fassade des Ansitzes "Mair am Hof" wurde in Scheinarchitektur bemalt

Herzstück des Museums: Ansitz Mair am Hof mit einer in Scheinarchitektur bemalten Fassade

Das Leben der Bergbewohner in vergangenen Jahrhunderten übte schon immer eine besondere Faszination auf mich aus. Deshalb war ich besonders gespannt auf das Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde in Dietenheim bei Bruneck. Die Besonderheit dieses Freilandmuseums ist, dass es einen Einblick in die Lebenswelt aller sozialen Klassen der Landbevölkerung gibt, vom Landadel über den Bauern bis hin zum Tagelöhner.

Herrlicher Blick über das Museum bis nach Bruneck

Sicht vom Ansitz Mair am Hof bis nach Bruneck

Auf einer großen Wiese mit herrlichem Panorama über Bruneck bis zum Kronplatz wurden zwischen 1977 und 1993 zwei Dutzend alte Bauernhöfe aus dem 15. bis 19. Jh., Mühlen und Handwerksgebäude übertragen und so vor der Zerstörung bewahrt. Liebevoll wurden Gärten mit Kräutern und Blumen angelegt, Geranien blühen auf den Fensterbänken der alten Häuser und Hühner spazieren über die Wiese. Es ist, als reise man in die Vergangenheit.

Herzstück ist der barocke Ansitz Mair am Hof

Gleich bei der Museumskasse liegt der barocke Mairhof (erbaut 1690) mit seiner kunstvoll verzierten lila getönten Fassade. Er war bis Ende des 18. Jh. Wohnsitz der durch ein Kupferbergwerk reich gewordenen Familie Wenzl, danach befand er sich bis 1920 in bäuerlichem Besitz. In seinen Räumen werden volkskundliche Sammlungen ausgestellt und man kann die Räumlichkeiten der Adeligen (oben) und Dienstboten (unten) besichtigen, sogar eine Hauskapelle gehört zum Anwesen.

Schlafzimmer der Adeligen im Mairhof des Museums

Schlafzimmer der Adeligen im Mairhof, Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde

In der unteren Etage der Dienstboten treten wir in eine gemütliche holzgetäfelte Stube mit Kachelofen ein. Eine solche Stube findet man in jedem Bauernhaus und sie wurde immer nach dem gleichen Muster eingerichtet: Diagonal gegenüber vom Ofen liegt der Herrgottswinkel mit dem Kruzifix, darunter steht eine Bank für die Andacht. In einem Wandschrank bewahrte man wichtige Dokumente und die Schnapsflasche für Besucher auf. Die Stube war der einzige warme „rauchfreie“ Raum, wo man sich zusammensetzte oder handwerkliche Arbeiten verrichtete. Im Winter arbeiteten dort die „Stör-Handwerker“, z.B. der Störweber, der Störschuster etc. Deshalb sagte man damals, „auf die Stör gehen“, denn in der Stube nahmen die Wanderarbeiter für längere Zeit viel Platz weg und störten vermutlich beträchtlich.

Der Herrgottswinkel fehlt in keiner Südtiroler Stube.

Hier spielte sich das häusliche Leben ab: Stube im Mairhof, Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde

Die Kruxifixe und Heiligenstatuen erwarb man in vergangenen Jahrhunderten billig von Wanderpredigern, ihren wahren Wert erkannte man erst viel später.

Viele Frauen wurden beim Kochen krank

Für mich ist das damalige Leben der Frauen besonders interessant, geprägt von unzähligen Schwangerschaften, der Trauer um viele an Krankheiten verstorbene Kinder und harter Feld- und Hausarbeit. In der Küche wird die Härte der Hausarbeit deutlich wie an keinem anderen Ort. Die Wände sind völlig schwarz vom Rauch, der beim Kochen ohne Abzug entstand. Die Küche war so verrußt, dass man unter der Decke Speck und Wurst räuchern konnte. Die Köchinnen litten ständig unter entzündeten Augen, von Husten und Atemproblemen ganz abgesehen. Erst spät wurden Abzüge genutzt, für uns heute unverständlich.

Über der Kochstelle ist die Wand schwarz vom Rauch, an der Decke hängt noch ein Stück Räucherwurst.

Über dem Herd ist die Wand schwarz vom Rauch, an der Decke hängt ein Stück Räucherwurst.

Mit der Sichel für die Einhaltung des Feierabends

Durch einen Hof mit wunderbaren Blumen gelangt man auf das Freigelände mit Höfen von Bauern und Kleinhäuslern (das waren ärmere Bauern mit wenigen Tieren), idyllisch wirkenden Mühlen und Häusern der Handwerker. Im Zentrum des Gartens steht ein Brunnen mit der Figur der heiligen Notburga von Rattenberg (1268-1315), einer Dienstmagd, die sich für die Einhaltung des Feierabends einsetzte. War sie vielleicht die erste Gewerkschafterin?

Brunnen mit der Heiligen Notturna, Die Figuren unten stellen die Lebenszyklen dar.

Brunnen mit der heiligen Notburga, einer der ersten Heiligen- gestalten aus der „unteren“ Volksschicht. Die Figuren unten stellen die Lebenszyklen dar.

In Kleingärten wurden Heilkräuter angebaut, mit denen sich vor allem die Hebamme auskannte. Für die medizinische Versorgung waren bis 1900 neben Hebammen die Bauerndoktoren, Wanderärzte und Bader zuständig, danach stieg die Zahl der Gemeindeärzte und ermöglichte eine bessere medizinische Versorgung.

Im Garten wurde auch Flachs zur Herstellung von Leinen angebaut

Im Garten wurde auch Flachs angebaut, das später verwebt wurde

Die Bauern waren vor der Industrialisierung vollständige Selbstversorger und machten den Großteil der Bevölkerung aus, der Landadel bildete hingegen nur eine sehr kleine Schicht. Aus den „Kleinhäuslern“, also Bauern mit wenigen Haustieren und Land, kamen die meisten Dienstboten und Tagelöhner. Im sogenannten Futterhaus sieht man viele Landwirtschaftsgeräte, die sich mit der Feldbestellung im Jahresablauf befassen. Sehr anstrengend war vor Erfindung einer Maschine das Dreschen des „lieben Getreides“ im Herbst: Männer und Frauen  bearbeiteten in Schwerstarbeit mit dem Dreschflegl viele Stunden das Getreide, an den Dreschtagen gab es dann immer ein besonders gehaltvolles Essen (daher kommt wahrscheinlich die Redewendung „Fressen wie ein Scheunendrescher“).

Die Bauernhäuser ähneln sich in ihrer Aufteilung. Einige haben einen breiten Durchgangsflur (Labe) mit Ein- und Ausgang. Er diente dazu, die Tiere hindurchzuführen, die mit der Familie unter einem Dach lebten. In jedem Haus gibt es eine beheizte Stube mit einem Kachelofen: „Unser Lieblingsplatz zum Spielen als wir Kinder waren“, erfahren wir von der einheimischen Museumsführerin.

Smartphone mit weit hörbarem Klingelton: Gab es einen Todesfall oder ein Unglück wurde die Dachglocke geläutet!

Gab es einen Todesfall oder ein Unglück wurde die Dachglocke geläutet!

Kraut und Speck wurde in der Speisekammer mäusesicher gelagert. Frisches Fleisch gab es nur  an Weihnachten und Ostern – und dann bekamen davon viele Bauchschmerzen, weil ihre Mägen es nicht gewohnt waren. Brot wurde nur zwei bis dreimal im Jahr für die ganze Familie und die Dienstboten gebacken und dann aufbewahrt. Während unserer Führung wurde im Holzofen draußen Brot gebacken, das wir kosten durften. Das dunkle Brot mit Anisaroma schmeckt einfach köstlich!

Im Winter war der Transport von Holz lebensgefährlich

Eine Figur zeigt wie im Winter Holz ins Tal befördert wurden: Ein Mann führt einen langen mit Baumstämmen beladenen Schlitten, als Bremse dienten nur seine mit Nägel beschlagenen Schuhe! Eine kleine Unachtsamkeit und der schwere Schlitten konnte zum Geschoß werden. Einfach vorstellbar, dass es dabei zu vielen tödlichen Unfälle kam.

Holztransport von den Bergen ins Tal: Als Bremse dienten nur die Spikes der Schuhe

Für den gefährlichen Schlittentransport bedurfte es großer Erfahrung

Einige Bauern besaßen eine Mühle zum Mahlen des Mehls, die von wandernden „Mühlendoktoren“ erbaut wurden. Wer sich für Mühlen interessiert: Idyllisch gelegene Mühlen kann man auch bei einer Wanderung im romantischen Mühlental „Valle dei Mulini“ in Longiarü (Campill) sehen.

Eindrucksvoll das „Wohnhaus des Trattmann“, das noch bis 1992 (!) bewohnt war. Auf einem Balken in der Stube ist die Jahreszahl 1594 eingraviert. Schwer vorstellbar, dass in diesem zugigen, dunklen Blockhaus mit Plumpsklo am Balkon noch bis vor wenigen Jahren Menschen gewohnt haben.

Das "Haus des Trattmann" war noch bis Ende des letzten Jahrhunderts bewohnt

Das Haus war noch bis Ende des letzten Jahrhunderts bewohnt

In diesem niedrigen und dunklen Zimmer schliefen noch bis in die 1990er die Bewohner

In diesem niedrigen und dunklen Zimmer schliefen noch bis in die 1990er die Bewohner

Ich hoffe, ich konnte euer Interesse am sehenswerten Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde wecken und euch neugierig auf das einstige Leben der Bergbewohner machen. Ich finde, nirgends bekannt man ein besseres Gefühl für das Leben vor der Mechanisierung als in einem Freilandmuseum, in den originalen Wohnstätten von damals. Falls ihr bei Bruneck unterwegs seid: Ein Abstecher lohnt sich auf jeden Fall! Bringt am besten mindestens drei Stunden Zeit mit.

Tipps: Auf dem Gelände gibt es oft interessante Veranstaltungen, die auf der Website des Museums angekündigt werden. Im Filmraum unterhalb der Rezeption kann man kostenlos Kurzfilme über die Entstehungsgeschichte des Museums anschauen.

Öffnungszeiten Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde:
Ostermontag – 31. Oktober: Dienstag – Samstag: 10.00 – 17.00 Uhr
Juli und August: 10.00 bis 18.00 Uhr, im August kein Ruhetag
Sonn- und Feiertage: 14.00 – 18.00 Uhr
Leztter Einlass jeweils eine Stunde vor Schließung

Eintritt: Erwachsene 7,00 Euro, es gibt Familienkarten und Gruppenermäßigungen.
Aktuelle Eintrittspreise

Adresse:
Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde
I-39031 Dietenheim/Bruneck
Herzog-Diet-Straße (Via Duca Diet 24)
www.volkskundemuseum.it
www.museo-etnografico.it

Anmerkung: Die Besichtigung des Museums wurde im Rahmen einer Pressereise vom Tourismusverband Kronplatz unterstützt .