Zur Wiesbadener Gemäldeausstellung „Caravaggios Erben – Barock in Neapel“ im Winter 2016/2017 hat der Hirmer-Verlag einen prächtigen Bildband herausgegeben. Das umfangreiche Werk ist ein Juwel für alle Kunstliebhaber und Interessierte an der Geschichte Neapels.
Aufmerksam wurde ich auf den Prachtband während der Frankfurter Buchmesse 2016. Am Stand des Hirmer-Verlags zog mich das Cover des Buchs „Caravaggios Eben – Barock in Neapel“ an. Es zeigt einen Ausschnitt des Meisterwerks „Heiliger Sebastian“ von Mattia Preti, einem berühmten Barockmaler und einer der „Erben Caravaggios“. Doch wer war Caravaggio und wie hat er die neapolitanische Malerei beeinflusst? Nun musste ich ihn lesen, den Katalog zur gleichnamigen Gemäldeausstellung im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden.
Schon beim ersten Durchblättern des kiloschweren Bildbandes war ich beeindruckt von seiner hochwertigen Ausstattung und den detailgetreuen Fotos. Die erste Hälfte des über 500 Seiten umfassenden Buches widmet sich der Erläuterung der Kunstwerke vor dem Hintergrund der Geschichte und Topographie Neapels zwischen 1600 und 1750. Diese Epoche ist in die Kulturgeschichte Neapels als Glanzzeit eingegangen, in der sich die Stadt zum einflussreichsten Zentrum der europäischen Barockmalerei entwickelte. Tiefgehende Texte verschiedener Autoren stellen Gemälde und Zeichnungen in einen geschichtlichen Zusammenhang. Die zweite Hälfte des Buchs ist der Katalog zur Ausstellung, dem sich ein umfangreiches Literaturverzeichnis anschließt.
Pest, Vesuvausbruch und Volksaufstand
Unter der Bezeichnung „Napoli catastrofico“ geht das 17.Jh in Neapels Geschichte ein: Es begann mit dem Ausbruch des Vesuvs im Jahr 1631, gefolgt von einem Volksaufstand 1647 und der Pest in 1656. Sie kostete die Hälfte der 300.000 Einwohner der damals zweitgrößten Metropole Europas (nach Paris) das Leben. Gleichzeitig gab es in Europa die Reformationsbewegung und die katholische Kirche fürchtete um ihre Anhänger. Besorgt um ihre Anhänger gab sie opulente Gemälde in Auftrag, mit denen die Gläubigen beeindruckt werden sollten.
Caravaggios innovative Hell-Dunkel-Malerei
Während seiner Aufenthalte in Neapel (1606 -1610), schuf Caravaggio herausragende Gemälde, die durch ihre neuartige Hell-Dunkel-Malerei und wirklichkeitsgetreue Darstellung nachhaltig die Malerei beeinflussten. Caravaggio war Impulsgeber der neapolitanischen Schule, zu der u.a. Jusepe de Ribera, Artemisia Gentileschi, Mattia Preti, Luca Giordano und Francesco Solimena gehörten. Sie, „die Erben Caravaggios“, lehnten sich an seinen Stil an und entwickelten ihn weiter.
Von den umfangreichen Abhandlungen über die „Erben Caravaggios“ finde ich einige Texte besonders interessant. Dazu gehört auch „Salvator Rosa – Der Maler mit dem düsteren Pinsel“ vom Ausstellungskurator Peter Forster. Er erläutert, dass die Malerei von Salvator Rosa eine Reaktion auf eine unruhige Zeit war. In seinen 1646 begonnenen Hexenszenen in stürmischen Landschaften schuf er „groteske Abbilder einer aus den Fugen geratenen Welt“ (S. 264).
Artemisia Gentileschi – eine schillernde Caravaggistin
Bisher unbekannt war mir, dass unter den Erben Caravaggios auch eine der bedeutendsten MalerINNEN ist: Artemisia Gentileschi. Die „Caravaggistin“ stellt heroische Frauenbilder in den Mittelpunkt ihrer Werke. Die sind durchaus nicht immer sanftmütig, wie das eindrucksvolle Gemälde „Judith enthauptet Holifernes“ zeigt.
Die Abhandlung „Fürst der Künstler, Künstler der Fürsten“ von Annette Hojer beschäftigt sich mit Francesco Solimena und der Hocharistokratie Europas. Dort erfährt man auch, dass der Malerfürst bei seinen Auftraggebern als kapriziöser Geschäftspartner galt, der „seine Werke erst nach langer Zeit und auf zusätzliche Ermunterung durch Geschenke oder Gefälligkeiten hin fertigstellte“ (S. 182). Ein amüsantes Detail.
Der Hirmer-Verlag gehört zu den renommiertesten Kunstbuchverlagen. Sein Programm umfasst ein breites Spektrum von Kunstbüchern, darunter Veröffentlichungen im Bereich Malerei, Fotografie und Architektur. Als Partner von Museen und Galerien gibt er viele Ausstellungskataloge heraus.
Durch den Band gut vorbereitet habe ich die Ausstellung in Wiesbaden besucht, die im übrigen auch in Kooperation mit dem Museum Capodimonte in Neapel entstand. Natürlich ersetzt ein Foto in einem Buch nicht das Ansehen des echten Gemäldes, aber durch die Kenntnis des geschichtlichen Hintergrundes konnte ich um ein Vielfaches mehr verstehen. In der Ausstellung liegt der Band „Caravaggios Erben“ übrigens aus und man kann einen Blick hineinwerfen.
Fazit: Der prächtig ausgestattete Band kann als Standardwerk für Liebhaber und Kenner der Barockmalerei betrachtet werden. Es ist ein Bereicherung für Kunstfreunde, Sammler und Geschichtsinteressierte. Sicher wird dieses umfassende und tiefgehende Werk seine Leser lange begleiten und immer wieder zum Schmökern einladen.
Caravaggios Erben: Barock in Neapel
Herausgegeben von Heiko Damm, Oy-Marra Elisabeth und Peter Forster für das Museum Wiesbaden
Gebundene Ausgabe mit 576 Seiten
Erschienen im Hirmer-Verlag, 1. Auflage (1. Oktober 2016)